Von der Unsichtbarkeit zur Sichtbarkeit
Überarbeitete Rede von Janka Kluge zur Eröffnung der Sonderausstellung „Lesben im NS“ im Hotel Silber, gehalten am 25.1.2019
Warum gerade ich
Zuerst möchte ich mich für die Einladung bedanken, dass ich hier ein paar einleitende Worte sprechen darf.
Die Situation lesbischer Frauen in der Geschichte, insbesondere während des Faschismus. hat mich immer wieder beschäftigt, auch wenn sie nicht immer im Mittelpunkt meiner Auseinandersetzung mit der Geschichte war.
Ich erinnere mich noch an einen Spaziergang, es muss fast 30 Jahre her sein, als ich von einem lesbischen Paar erfuhr, das in der Resistance gekämpft hat. Als meine Gesprächspartner mein besonderes Interesse für die Frauen bemerkten, zeigten sie sich erstaunt. Ihre sexuelle Orientierung habe doch nichts damit zu tun, dass sie aktiv gegen Nazis waren. Für mich waren bis dahin alle Erzählungen über Menschen aus dem Widerstand automatisch heteronormativ belegt.
Ähnlich sah es für mich mit der Verfolgung lesbischer Frauen aus. Über Jahre bin ich davon ausgegangen, dass in Nazideutschland nur homosexuelle Männer verfolgt wurden. Schließlich galt der § 175 nur für Männer. Waren lesbische Frauen im KZ, dann, so dachte ich, nicht wegen ihrer Sexualität und ihres Begehrens, sondern wegen anderer Stigmatisierungen und Diskriminierungen.
Trotzdem gab es Diskriminierungen und Verfolgung lesbischer Frauen, insbesondere, dann wenn die Frauen als Lesben sichtbar waren. Allerdings gab es kein einheitliches Vorgehen. Die Frauen wurden wegen anderer Delikte verhaftet, ihre Sexualität wirkte sich dann strafverschärfend aus.
Was war in Österreich anders?
In Österreich war die Situation anders. Im Paragraph 1291 b wurde lesbische Sexualität unter Strafe gestellt. Ähnlich wie in Deutschland beim § 175 gab es den Paragraphen schon vor der Besetzung Österreichs durch die Wehrmacht. Die nationalsozialistische Justiz unternahm keinen Versuch die Gesetze anzugleichen. Die um die Erforschung lesbischer Geschichte verdiente Historikerin Claudia Schoppmann konnte in Wien erhaltene Akten von Verfahren gegen Frauen einsehen, denen nach dem § 1291 b der Prozess gemacht wurde. Sie schreibt: „Bekannt ist, dass in den Jahren 1938 – 1943 in Wien 66 Frauen nach 1291 (Sodomie und Homosexualität) verurteilt wurden.“i Davon kamen, so schreibt sie weiter, alle aus der Unterschicht. War es für lesbische Frauen aus der gehobenen Schicht einfacher ihr Leben zu tarnen? Wurden sie seltener denunziert und angezeigt? Bis jetzt wissen wir so gut wie nichts über die Mechanismen der Verfolgung.
Warum war die Verfolgung lesbischer Frauen Jahrzehnte unsichtbar
Auch in Deutschland waren lesbische Frauen als Opfergruppe lange unsichtbar. Lesbische Sexualität, lesbisches Begehren oder Handeln stellte, anders als bei homosexuellen Männern, keinen eigenen Strafbestand dar. Dies hatte jedoch nicht zur Folge, dass lesbische Frauen nicht verfolgt wurden.
Die österreichische Politologin und Aktivistin Gudrun Hauer schrieb in einem Aufsatz:
„wenn es auch keine Rechtsgrundlage für die Bestrafung von Lesbierinnen gab, […wurden] während des Faschismus homosexuelle Frauen dennoch häufig verhaftet und deportiert“. ii
Die Historikerin Sybil Milton geht davon aus, dass zwischen 1933 und 1939 6000 und 8000 Frauen in sogenannter „Schutzhaft“ waren, das heißt sie wurden nach dem Verbüßen ihrer Haftstrafe ins KZ gebracht. Die genaue Opferzahl lesbischer Frauen lässt sich jedoch nicht feststellen, da sie, wie Sybil Milton schreibt, „als sogenannte Asoziale (eine Kategorie, die Prostituierte, Lesbierinnen, Landstreicherinnen, Arbeitsscheue und beliebige Personen umfasste, die nach Auffassung der Polizei nicht für die bürgerliche Gesellschaft taugten) oder als `Kriminelle´ verhaftet worden waren (Mörderinnen, Diebinnen und Frauen, die gegen das gesetzliche Verbot des Geschlechtsverkehrs zwischen `Ariern´ und Juden verstoßen haben.“iii Da lesbische Frauen also in den Gruppen der „Asozialen“ oder der „Kriminellen“ mitgeführt wurden, existieren auch so gut wie keine Dokumente, anhand derer wir genaueres ablesen könnten.
Dennoch haben wir einen Hinweis darauf, dass lesbische Frauen wegen ihres Begehrens und ihrer Sexualität verfolgt worden sind. Oft genügte es, dass sie von Nachbarn bei der Gestapo wegen sogenannten „widernatürlichen Verhaltens“ denunziert wurden. Um dieser Denunziation zu entgehen, haben frauenliebende Frauen oft versucht, sich dem allgemeinen Frauenbild anzupassen. Viele haben sich die Haare wachsen lassen, Kleider getragen und sogar geheiratet.
Die verhafteten Frauen wurden, anders als die Männer, anfangs nicht sofort ins Konzentrationslager gebracht, sondern in zunächst in Frauengefängnisse. In Süddeutschland gab es zwei zentrale Haftanstalten für Frauen und es ist sehr wahrscheinlich, dass auch alle lesbischen Frauen, die hier verhaftet wurden, zumindest zeitweise dort inhaftiert waren. Es gab zum einen das Frauenuntersuchungsgefängnis im Stuttgarter Westen und die Haftanstalt Gotteszell bei Schwäbisch Gmünd, in der sie nach der Urteilsverkündung gebracht wurden.
Von Our History zum Allgemeinen Erinnern
Die Erforschung lesbischer Geschichte wurde über lange Zeit hauptsächlich von Frauen und Lesbengruppen betrieben. Sie fragten ältere Lesben nach ihrem Leben und interessierten sich für ihre Geschichte.
Die Ausstellung „Und trotzdem“, die wir heute hier in Stuttgart eröffnen, ist auf der Grundlage solcher Interviews erarbeitet. Sie wurde 2005 von der Landesarbeitsgemeinschaft Lesben in Nordrhein – Westfalen, dem Frauenarchiv ausZeiten e.V. und der Rosa Strippe erarbeitet.
Warum wird die Auseinandersetzung mit Erinnerung in der KZ Gedenkstätte Ravensbrück so vehement geführt
Obwohl es mehrere Konzentrationslager gab, in denen auch Frauen inhaftiert waren, war das KZ Ravensbrück die zentrale Haftstelle. Es wurde 1938, 1939 von der SS errichtet. Davor waren die meisten Frauen in den Konzentrationslagern Moringen und Lichtenburg gefangen gehalten. Zwischen 1938 bis 1945 waren ca. 132 000 Frauen und Kinder, 20 000 Männer in Ravensbrück inhaftiert. Dazu kam noch das benachbarte Jugendkonzentrationslager Uckermark. Hier wurden ca. 1000 junge Frauen und Mädchen, meist wegen „unangepassten Verhaltens“, festgehalten.
Es gibt also einen zentralen Ort, an dem sich die Verfolgung von Frauen aus sogenannten rassischen, ethnischen, religiösen Gründen oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung festmachen lässt. Hier waren aber auch die Frauen mit dem schwarzen Winkel inhaftiert. Ravensbrück ist damit auch der richtige Ort um an die Verfolgung lesbischer Frauen zu erinnern.
Fast gleichzeitig fanden sich Anfang der achtziger Jahre Frauen- oder Lesbengruppen in der DDR und in Westdeutschland zusammen, die sich für die Leidensgeschichte lesbischer Frauen interessierten.
Es dauerte bis 1984 bis die erste Gedenkveranstaltung für lesbische Frauen in der Gedenkstätte Ravensbrück stattfand.iv Am 10. März 1984 fuhren ca. 20 Frauen zur Gedenkstätte.
Die Frauen der Gruppe „Lesben in der Kirche“ aus Ost-Berlin hatten davor in einem Brief an die Gedenkstätte Ravensbrück Einsicht in die Akten von Frauen gefordert, die aus politischen Gründen, aufgrund ihrer Homosexualität, oder wegen Prostitution inhaftiert waren. Zur Begründung schrieben sie:
„Sie werden sich fragen, warum wir all diese Informationen sammeln? Wir sind Frauen, und wir haben eine Vergangenheit, eine Geschichte, die es aufzuarbeiten und vor allen Dingen zu verarbeiten gilt, um in unserem Emanzipationsprozeß und in unserem Selbstverständnis weiter zu kommen.“v
In Ravensbrück legten sie einen Kranz mit einer Schleife ab, auf der stand: „Zum Gedenken an das Leid der Frauen des ehemaligen KZ Ravensbrück. Arbeitskreis Homosexuelle Selbsthilfe Berlin – Lesben in der Kirche“vi
Sowohl die Schleife, als auch der Eintrag ins Gästebuch, sind nach ihrer Abreise entfernt worden.
Zum 40. Jahrestag der Befreiung des KZ Ravensbrück wollte die Gruppe „Lesben in der Kirche“ erneut nach Ravensbrück fahren, um dort einen Kranz niederzulegen. Der Blumenhändlerin kam die Formulierung der Schleife „Wir gedenken dem Leid unserer lesbischen Schwestern“ suspekt vor und sie meldete die Bestellung der Stasi. Alle elf Frauen, die mit ihren Vornamen auf der Schleife stehen sollten, bekamen Besuch von der Stasi.
Bis heute wird eine Auseinandersetzung über die angemessene Form der Erinnerung an verfolgte lesbische Frauen geführt. Die Gruppe „Autonome feministische FrauenLesben aus Deutschland und Österreich“ fordert seit Jahren, dass in Ravensbrück ein Denkmal, angedacht ist eine Gedenkkugel, an die Leiden der inhaftierten lesbischen Frauen erinnern soll. Im Oktober 2018 hat der Lesben und Schwulen Verband Berlin – Brandenburg mitgeteilt, dass man sich mit den Gremien des Verbands der Gedenkstätten in Brandenburg auf die Errichtung einer Gedenkkugel geeinigt habe. Sie soll, so heißt es in der Pressemitteilung, die Inschrift „Den lesbischen Frauen unter den Häftlingen der verschiedenen Verfolgtengruppen“ tragen. Leider kam von der Leiterin der Gedenkstätte Ravensbrück umgehend ein Dementi. Sie teilte mit, dass es noch keinen Konsens über die Form der Erinnerung gebe. Mit ein Grund dafür dürften Auseinandersetzungen innerhalb des LSVD Berlin – Brandenburg sein. Ein Teil des Vorstands bestreitet nach wie vor, dass es Verfolgung von Lesben im Faschismus gegeben habe.
In dieser Situation ist es ein wichtiges und ermutigendes Zeichen, dass die Ausstellung heute vom Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg organisiert wurde. Nur wenn wir uns gegenseitig unterstützen und uns die gruppenspezifischen Diskriminierungen und Verfolgungen nicht absprechen werden wir in der Lage sein, Erinnerung sichtbar zu machen.
Literatur:
Maria Bühner „Die Kontinuität des Schweigens“ in Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 29/2018/2,
Dachauer Hefte Nr.3 „Frauen – Verfolgung und Widerstand“
Stephanie Kuhnen „Lesben Raus!“ Querverlag 2017
Claudia Schoppmann „Verbotene Verhältnisse“ Querverlag 1999
i Claudia Schoppmann „Verbotene Verhältnisse“ S. 12
ii Zitiert nach Maria Bühner „Die Kontinuität des Schweigens“ S. 116
iii Sybil Molton „Deutsche und deutsch-jüdische Frauen als Verfolgte des NS-Staats“ in Dachauer Hefte 3
iv Maria Bühner „Die Kontinuität des Schweigens“ S. 117
v Zitiert nach Maria Bühner „Die Kontinuität des Schweigens“ S. 118
vi Zitiert nach Maria Bühner „Die Kontinuität des Schweigens“ S. 119
Danke!
Wir danken Janka Kluge für diese wunderbare Übersicht und Recherchen und danken auch ausdrücklich für die Zurverfügungstellung ihrer Rede!
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