Unterstützung für LSBTTIQ Geflüchtete!

Freiburg, 19. Juni 2017

PRESSEMITTEILUNG

Am Weltflüchtlingstag am 20.06. erinnert das Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg an die besondere Situation von LSBTTIQ Geflüchteten. Wir brauchen endlich die Anerkennung der besonderen Schutzbedürftigkeit von LSBTTIQ Geflüchteten und Unterstützung für deren spezifischen Bedarfe.

LSBTTIQ Geflüchtete verlassen aus sehr verschiedenen Gründen ihr Herkunftsland. Manche versuchen einem Krieg zu entkommen, andere werden als politische Aktivist_innen verfolgt. Nicht immer ist ihre sexuelle Orientierung, ihre nicht-heterosexuelle Lebensweise, ihre Transsexualität, Intergeschlechtlichkeit oder das Leben zwischen den Geschlechtern der zentrale Grund für die Flucht. Dennoch gilt für sie alle, dass sie aus Gesellschaften fliehen, in denen ihnen Ausgrenzung, Zwangsverheiratung, Gefängnisstrafen, Folter oder gar die Todesstrafe drohen. „Hier ist es Aufgabe von Erstaufnahmestellen, Behörden und Mitarbeiter_innen in der Geflüchtetenarbeit in Baden-Württemberg, besonderen Schutz zu leisten, angemessene Begleitung zu bieten und eine faire Chance im Asylverfahren zu gewähren“, fordert Ulrike Goth vom Sprechendenrat des Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg.

Viele LSBTTIQ Geflüchtete haben in ihrem Herkunftsland ihre sexuelle Orientierung verheimlicht und/oder ihr Geschlecht verleugnet, meist auch vor engsten Familienangehörigen. Sie haben Jahre oder Jahrzehnte über ihre Gefühle geschwiegen, haben soziale Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung erlebt. Auch angekommen in Deutschland finden sie nicht dieselbe Unterstützung wie andere Geflüchtete. Während diese auf Unterstützung anderer geflüchteter Menschen aus ihrem Herkunftsland zurückgreifen können, ist dies LSBTTIQ Geflüchteten meist nur unter weiterer Leugnung möglich. Viele leben in Angst vor homo- und transfeindlichen Übergriffen. Die immer noch geringe Sichtbarkeit der LSBTTIQ Community in Baden-Württemberg macht es ebenfalls vielen Geflüchteten schwer, vor Ort Anschluss und Unterstützung zu finden. Die Wohnsitzauflage wie auch die Verteilung auf ländliche Gemeinden – trotz der dort fehlenden Beratungs- und Unterstützungsstrukturen der LSBTTIQ Community – verstärken ihre tiefe Isolation; ebenso die Angst vor Ausgrenzungserfahrungen in den neuen Heimatgemeinden und die meist fehlende Sensibilisierung von Behörden, Dolmetscher_innen und anderen Mitarbeiter_innen der Geflüchtetenarbeit für die Belange von LSBTTIQ Geflüchteten.
„Selbstverständlich fällt es dann vielen schwer, ausgerechnet in einem fremden Land innerhalb eines Verfahrens, von dem das ganze weitere Leben abhängt, scham- und angstbesetzte und traumatische Erfahrungen offenzulegen. Viele LSBTTIQ Geflüchtete geben sich im Asylverfahren nicht oder verfahrenstechnisch ‘zu spät’‚ zu erkennen“, erklärt Isabelle Hlawatsch, ebenfalls vom Sprechendenrat des Netzwerks LSBTTIQ Baden-Württemberg. „Oft fehlen auch in den Anhörungen sowie in den Verfahren im Vorfeld das Verständnis und die Idee über die Vielgestaltigkeit der Lebensrealitäten, die im Zusammenhang mit sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität stehen. Die Feststellung der Glaubwürdigkeit des individuellen Asylgesuchs kann dann kaum informiert erfolgen.“

Nachdem auch der gemeinsame Fachtag des Netzwerks LSBTTIQ Baden-Württemberg und der Türkischen Gemeinde Baden-Württemberg mit über 100 Expert_innen und Praktiker_innen in der Geflüchtetenzusammenarbeit sowie Vertreter_innen von Geflüchteten-selbstorganisationen die problematische Lage und massiven Gewalterfahrungen vieler LSBTTIQ Geflüchteter im Land nochmals deutlich machte, fordert das Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg die rasche Anerkennung der besonderen Schutzbedürftigkeit wie des besonderen Unterstützungsbedarfs von LSBTTIQ Geflüchteten durch die Landesregierung. Als Sofortmaßnahmen helfen die Einrichtung einer Landeskoordinationsstelle für LSBTTIQ Geflüchtete, Schulungen zur Sensibilisierung der Mitarbeitenden in den Aufnahmeeinrichtungen und Beratungsmöglichkeiten durch die LSBTTIQ Community in Erstaufnahmeeinrichtungen. Ziel muss es sein, Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen zu minimieren und auch LSBTTIQ Geflüchteten Zugang zu einem fairen Asylverfahren zu geben.

Informationen zu den Angeboten des Netzwerks LSBTTIQ Baden-Württemberg für Geflüchtete und Kontakt zu unterstützenden Gruppen sind auf folgender Webseite zu finden: http://netzwerk-lsbttiq.net/refugees

Über das Netzwerk: Das Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg ist ein überparteilicher und weltanschaulich nicht gebundener Zusammenschluss von lesbisch-schwul-bisexuell-transsexuell-transgender-intersexuell und queeren (LSBTTIQ) Gruppen, Vereinen und Initiativen. Das Netzwerk zeigt damit bereits die Vielfalt und die Vielgestaltigkeit von Geschlecht und sexueller Orientierungen. Ziel des Netzwerks ist es, die Zusammenarbeit der verschiedenen LSBTTIQ-Mitgliedsgruppen auf Landesebene zu fördern und den Erfahrungsaustausch zu intensivieren, zu zentralen Themen gemeinsame Positionen zu erarbeiten und gegenüber landespolitischen Entscheidungstragenden zu vertreten. Dabei greift das Netzwerk auf die vorhandenen Kompetenzen und Expertisen der Mitglieder zurück. Die Bündelung der Aktivitäten vor Ort erbringt Synergieeffekte, die den gesellschaftlichen Beitrag der Mitgliedsgruppen wirkungsvoller gestaltet. Die Eigenständigkeit jedes Mitglieds wird respektiert und alle Mitglieder arbeiten gleichberechtigt.

Kontakt zu Geschäftsstelle: kontakt@netzwerk-lsbttiq.net
Kontakt zum Sprechendenrat: sprechendenrat@netzwerk-lsbttiq.net
Mehr Informationen zum Netzwerk: www.netzwerk-lsbttiq.net
Netzwerk bei Facebook: www.facebook.com/lsbttiq

LSBTTIQ: Die Abkürzung steht für einzelne Richtungen in der vielfältigen Regenbogen-Gemeinschaft – lesbisch (L), schwul (S), bisexuell (B), transgender (T), transsexuell (T), intersexuell (I), queer (Q).