Umfrage mit problematischen Formulierungen der Stadt Stuttgart

In der Landeshauptstadt Stuttgart findet gerade die große Bürger_innenbefragung statt, die auch zwei Fragen zur Akzeptanz von lsbttiq Menschen einschließt. Leider wurden die Fragen sehr unglücklich formuliert und sind methodisch völlig ungeeignet, um die Einstellung der Bürger_innen zu diesem Thema neutral und sachlich zu erheben.

In unserem Offenen Brief an OB Dr. Nopper und die Mitglieder der Fraktionen des Gemeinderats erläutern wir, warum die Fragen als problematisch einzustufen sind, und bitten um eine offizielle Stellungnahme.

Freiburg, 20. April 2021

Offener Brief

Problematische Fragen in Bürgerumfrage 2021 der Stadt Stuttgart

Sehr geehrte Mitglieder der Fraktionen, sehr geehrter Herr Dr. Nopper,
mit Befremden haben wir, der Sprechendenrat des Netzwerks LSBTTIQ Baden-Württemberg, die Stuttgarter Bürgerumfrage 2021 wahrgenommen, die an ausgewählte Bürger_innen der Stadt versendet wurde. Im Themenkomplex „Gerechtigkeit und Toleranz“ finden sich zwei in unseren Augen sehr problematische Fragen:
Wie beurteilen Sie die in Stuttgart vorherrschende Toleranz gegenüber lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgender, intersexuellen und queeren Menschen?

Diese Frage ist eine Suggestivfrage. Sie geht von einer bereits vorherrschenden Toleranz der Stadtgesellschaft aus und schafft so von Vornherein schon einen Rahmen, der eine objektive Beantwortung der Frage verunmöglicht. Suggestivfragen sind in allen Umfragen zu vermeiden – es handelt sich hier um eine grundlegende Regel, die in allen Sozialwissenschaften Konsens ist. Darüber hinaus stellt sich für uns die Frage, wie gut es um die Toleranz der Stadtgesellschaft angesichts der Übergriffe auf Teilnehmer_innen des Christopher Street Days 2019 und der steigenden Zahl an Hasskriminalität gegenüber Mitgliedern der LSBTTIQ-Community tatsächlich bestellt ist.
Übertreiben es in Stuttgart Ihrer Meinung nach viele mit ihrer Toleranz gegenüber lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgender, intersexuellen und queeren Menschen?

Hier wird ein gängiges rechtspopulistisches Narrativ bedient, das uns als Mitgliedern der Community allzu oft vorgeworfen wird: die Frage unterstellt, dass der Kampf für gleiche Rechte, dem auch wir uns als Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg verschrieben haben, eine „Übertreibung“ sei. Gleichberechtigung und die Forderung nach gesellschaftlicher Teilhabe sind jedoch keinesfalls eine Übertreibung sondern schlicht Menschenrechte. Die Ehe für alle war sicherlich ein Meilenstein, der von unserer Community über Jahrzehnte gefordert und schließlich erfolgreich durchgesetzt wurde; es gibt jedoch noch viele Bereiche, in denen die Rechte von lsbttiq Personen nach wie vor verletzt werden. Hierüber können Sie sich gerne bei uns informieren.

Die Frage nennt außerdem lediglich den Begriff „Toleranz“, was im Grunde schlicht „Duldung“ bedeutet – auch diese Wortwahl ist nicht glücklich und erweckt den Eindruck, dass selbst eine Duldung queerer Menschen schon zu viel sein könnte.
Wir bitten Sie, hierzu Stellung zu nehmen.

Mit freundlichen Grüßen
der Sprechendenrat des Netzwerks LSBTTIQ Baden-Württemberg

 

Über das Netzwerk: Das Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg ist ein überparteilicher und weltanschaulich nicht gebundener Zusammenschluss von lesbisch-schwul-bisexuell-transsexuell-transgender-intersexuell und queeren (LSBTTIQ) Gruppen, Vereinen und Initiativen. Das Netzwerk zeigt damit bereits die Vielfalt und die Vielgestaltigkeit von Geschlecht und sexueller Orientierungen. Ziel des Netzwerks ist es, die Zusammenarbeit der verschiedenen LSBTTIQ-Mitgliedsgruppen auf Landesebene zu fördern und den Erfahrungsaustausch zu intensivieren, zu zentralen Themen gemeinsame Positionen zu erarbeiten und gegenüber landespolitischen Entscheidungstragenden zu vertreten. Dabei greift das Netzwerk auf die vorhandenen Kompetenzen und Expertisen der Mitglieder zurück. Die Bündelung der Aktivitäten vor Ort erbringt Synergieeffekte, die den gesellschaftlichen Beitrag der Mitgliedsgruppen wirkungsvoller gestaltet. Die Eigenständigkeit jedes Mitglieds wird respektiert und alle Mitglieder arbeiten gleichberechtigt.

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LSBTTIQ: Die Abkürzung steht für einzelne Richtungen in der vielfältigen Regenbogen-Gemeinschaft – lesbisch (L), schwul (S), bisexuell (B), transgender (T), transsexuell (T), intersexuell (I), queer (Q).