Start der CSD Saison 2016 in Baden-Württemberg – Grussworte des Netzwerks

Karlsruhe, 28.05.2016

Grußwort des Netzwerks LSBTTIQ Baden-Württemberg anlässlich des CSD Karlsruhe

Hallo allerseits, hallo ihr lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgender, intersexuellen und queeren Menschen und ein hallo für alle Freund_innen auch im Namen des Netzwerks LSBTTIQ Baden-Württemberg!

Das Motto dieses CSDs – „In Vielfalt angekommen. Sicher?“ – benennt einen Spannungsbogen mit dem wir alle hier leben. Vielfalt –Diversity – Geschlechtergerechtigkeit sind Forderungen und Schlagworte, die in aller Munde sind: Sie sind Themen bei den großen Firmen, in Managermagazinen oder beim Umbau von Stadtverwaltung, aber auch in der Antidiskriminierungspolitik und bei Gleichstellungsbeauftragten aller Geschlechter.

Einsortiert und abgeheftet in schönen Ordnern sorgen diese Begriffe in der Regel nicht für Aufregung, höchstens einmal für einen Lacher auf Kosten allzu politisch korrekter Spaßbremsen. Aber ist es wirklich so? Können alle hier in Deutschland, in Baden-Württemberg, in Karlsruhe ihre individuell ausgeprägte „Vielfalt“ zeigen und „sicher“ leben?

Sind wir sicher, wenn

  • WIR – egal wie alt – neu und unerfahren die Szene erkunden wollen?

Sind wir sicher, wenn

  • WIR auch in der Schule Wertschätzung als zentrales Lernziel verankern wollen – und damit ein unverzichtbares Zeichen für Vielfalt in Sicherheit an die zukünftigen Generationen geben wollen?
    Wenn Wir aus Unterdrückung, Gewalt und Krieg nach Deutschland fliehen?

Sind wir sicher, wenn

  • WIR unsere Liebe lieben wollen und dabei nicht unsere Familien und manchmal auch unsere Religion verlieren wollen – als christliche, als muslimische oder jüdische Menschen?
    Oder wenn WIR unsere Liebe an unsere Kinder weitergegeben wollen – egal in welcher Familienkonstellation und mit wie vielen liebenden Verantwortlichen?

Sind wir sicher, wenn

  • WIR in unserer Vielfalt auf die Straße gehen – als sexy Frauen, als händchenhaltende Männer, -als die Frauen, die wir sind auch mit großen Händen und tiefen Stimmen, – als die Männer, die wir sind, etwas kleiner als der Durchschnitt und ohne Bartschatten, -als Männer und Frauen of colour oder mit irgendeinem anderen Kennzeichen, dass uns als einzelne von der vermeintlichen Norm abhebt?

 

Wir alle ahnen es: Es gibt noch viel zu tun, bis wirklich alle Menschen sicher und in aller Vielfalt leben können und alle die ihnen nicht absprechbare, die ihnen zustehende Menschenwürde tatsächlich spüren.

Im Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg engagieren sich inzwischen fast 100 Organisationen. Völlig verschieden, aber einig in dem Gedanken, dass es sehr wichtig ist, UNS auf dem Weg in eine vielfältige und sichere Zukunft nicht auseinander bringen zu lassen und schon gar nicht gegeneinander ausgespielt zu werden!Einen Versuch uns gegeneinander auszuspielen erleben wir gerade in der angeblichen Spaltung zwischen den neu angekommenen und den schon immer dagewesenen oder schon länger angekommenen. Also den Geflüchteten und den oft so genannten „Einheimischen“. Auch mit dem „Feindbild Islam“ wird den neu angekommenen immer mal wieder pauschal Frauenfeindlichkeit, Homophobie und Transphobie unterstellt – Dagegen kennen wir jedoch die einfache Tatsache: Homophobie, Trans- und Interphobie und Sexismus kamen und kommen nicht mit den Geflüchteten nach Karlsruhe. Diese Abwertung, Ausgrenzung und Ablehnung von Lesben, Schwulen, bisexuellen Menschen, von transgender oder transexuellen Menschen, von intersexuellen Menschen oder queeren Menschen trifft uns alle – und das nicht erst seit gestern. Es trifft die, die schon länger, vielleicht schon immer hier leben, und auch jene, die hierher geflohen sind. Und besonders hart trifft es Geflüchtete, die darauf hoffen, als lesbische oder bisexuelle oder heterosexuelle Frau, als Transgender, als Schwuler oder als queerer Mensch hier gleichwertig mit allen anderen leben zu können.

Geflüchtete nehmen uns nichts weg. Sie brauchen Unterstützung um ihren Weg und ihren Platz zu finden. Und dafür müssen sie nicht mit lebenslanger Dankbarkeit und Anpassung bezahlen – und auch nicht mit sexuellen Dienstleistungen mitunter als exotische Trophäen.

Das Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg hat unter „refugees welcome“ eine Webseite eingerichtet, die aktuell in drei Sprachen die Unterstützungsangebote in Baden-Württemberg für LSBTTIQ-Geflüchtete benennt. Denn Geflüchtete gehören selbstverständlich auch zu uns und wir versuchen alles in unserem Rahmen Mögliche, um eine angemessene Unterstützung zu bieten. Ein Riesen-Dankeschön an alle, die sich für Geflüchtete Menschen engagieren!!

Das ist ein Anfang aus der community heraus, aber wir wollen und brauchen mehr:

  • Wir wollen einen Rechtshilfefonds – damit LSBTTIQ Geflüchtete im Asylprozess eine angemessene Rechtsvertretung erfahren.
  • Wir wollen Übersetzungen unserer Angebote und Sichtbarkeit und Repräsentanz der vielen Aktivitäten von LSBTTIQ Gruppen – damit Neu-Ankömmlinge uns einfach finden können und für sie sofort sichtbar wird, dass sie Anschluss finden können – nicht nur über Dating-Seiten.
  • Wir brauchen eine klare Reaktion, wenn Übersetzungen im Verfahren fehlerhaft oder diskriminierend sind.
  • Wir brauchen auch dringend Unterstützung in Form geschützter Wohnmöglichkeiten für LSBTTIQ-Geflüchtete außerhalb der Lager, damit im Bedarfsfall schnell und sicher Schutz geboten werden kann.
  • Und wir brauchen auch Unterstützung bei der Vernetzung der vielen engagierten Initiativen für Geflüchtete – damit wir zu finden sind, schnell reagieren können, die Koordination gezielt gelingt und qualifizierte Hilfe angeboten werden kann.

Wir brauchen auch mehr für die Jugend im Land und besonders viel Engagement für junge LSBTTIQ-Menschen:

  • Wir brauchen eine konsequente Umsetzung des Bildungsplans, damit Schule endlich ein Ort wird, an dem Jugendliche vor Diskriminierung geschützt sind. Ein Ort, an dem Lehrende nicht selber ausgrenzen oder einfach verunsichert sind, weil sie nicht wissen, wie auf Häme und ausgrenzende Witze reagiert werden kann.
  • Wir brauchen Unterstützung und Fortbildung für jene, die Räume für Jugendliche gestalten. Damit queere Jugendliche auch in Jugendhäusern ohne Diskriminierung Unterstützung finden können und Platz haben.
  • Und wir brauchen eigene Orte für LSBTTIQ Jugendliche, damit sie im geschützten Rahmen sich selbst entdecken können, damit sie ein Zuhause und Verständnis finden.

Hier in Karlsruhe habt ihr etwas Besonderes. Karlsruhe wagt mit dem Jugendtreff La Vie als erste Stadt in Baden-Württemberg einen Ort zu etablieren, der explizit einen Platz bietet für junge Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender, intersexuelle und queere Menschen. Endlich ein Raum, den sie gestalten können, ohne aufgrund ihrer Fragen, Wünsche und Identitäten ausgegrenzt zu werden.

  • Wir brauchen Unterstützung für Coming Out Gruppen von Jugendlichen. Dank hartnäckiger Arbeit aktiver Netzwerker_innen ist es gelungen, eine erste landesweite Vernetzung und Sichtbarkeit von Coming-Out-Gruppen zu erreichen.
  • Hier muss es weitergehen – mit struktureller Unterstützung und mit Unterstützung durch die Community.

Auch der Aufbau einer landesweiten Beratung für LSBTTIQ-Menschen ist ein Erfolg erstaunlichen Engagements toller Menschen vielfältigster Art.

  • Wir setzen in diesem Projekt Standards, die sicherstellen, dass Ratsuchende LSBTTIQ in ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität von Anfang an wertschätzend aufgenommen werden.
  • Wir bringen mit diesem Projekt qualifizierte Beratung für Ratsuchende LSBTTIQ in die Fläche, damit „guter Rat“ für alle erreichbar ist.

Dass sich nun im Koalitionsvertrag der Landesregierung Anknüpfungspunkte für Zuversicht in eine selbstverständlich vielfältigere Gesellschaft in Baden-Württemberg finden, ist eben gerade nicht selbstverständlich, sondern auch Ergebnis unserer aller Arbeit. Es ist wichtig, dass sexuelle Orientierung und geschlechtliche Vielfalt im Kapitel zu den Geflüchteten mit einem besonderen Schutzbedarf verknüpft werden. Es ist wichtig, dass das Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg als Partnerin für das Erreichen von Gleichstellungszielen benannt wird. Und wenn die Kirchen ebenfalls genannt werden, setzen wir auf Institutionen wie die evangelische Landeskirche in Baden, die auch gegen Widerstand aus den eigenen Reihen gleichgeschlechtliche Trauungen gleichgestellt hat.

Wir sind auf dem richtigen Weg: unser Leben in seinen vielfältigen Ausprägungen gemeinsam mit vielen anderen sicherer zu machen. Gemeinsam mit all den anderen, die anders sind als wir, aber alle gleich wertvoll. Wir brauchen unsere Gemeinschaft im Netzwerk – in all seiner Vielfalt. Aber wir stehen auch für die Offenheit, auf andere zuzugehen, Menschen aufzunehmen.

Gemeinsam sind wir stark. Hier beim CSD und im Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg – bringt euch ein, macht mit.
DANKE für euer Engagement und viel Spaß beim Feiern.

 

Termine und Links für die CSDs in Baden-Württemberg 2016: www.netzwerk-lsbttiq.net/termine/csds