Zeitgemäße menschliche medizinische und rechtliche Verfahren für transsexuelle und transgender Menschen in Deutschland sind überfällig!

Freiburg, 17. November 2018

PRESSEMITTEILUNG

Deutschland hinkt in der rechtlichen Akzeptanz von Transsexuellen und Transgender sowie in Verfahren der Geschlechtsangleichung vielen anderen Ländern weiterhin deutlich hinterher. Noch immer gilt ein schon lange nicht mehr zeitgemäßes Transsexuellengesetz von 1980 und eine diskriminierende psychiatrische Begutachtungspflicht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellte im Juni 2018 endlich fest, dass Transsexualität keine psychische Störung ist. Das Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg fordert, dass hieraus sofort praktische Konsequenzen zugunsten transsexueller und transgender Menschen in Deutschland gezogen werden.

Anlässlich des Transgender Day of Remembrance am 20. November gilt es wieder, positive und negative Entwicklungen in der gesellschaftlichen Stellung von transsexuellen und transgender Menschen genauer zu betrachten. Nachrichten von Verfolgungen und Gewalttaten erreichen uns nach wie vor. Das Gedenken an Opfer transfeindlicher Gewalt, dem dieser Tag gewidmet ist, wird wohl leider auch in Zukunft ein immer wieder aktuelles Anliegen bleiben. Neuere sehr bedauerliche Entwicklungen in den USA zeigen uns, dass wir uns nie auf Lorbeeren erkämpfter Errungenschaften ausruhen können. Es wird immer notwendig sein, Rechte und Freiheiten aktiv zu verteidigen.

Mit großer Freude hat das Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg hingegen zur Kenntnis genommen, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Juni diesen Jahres offiziell verlautbaren ließ, Transsexualität nicht mehr als psychische Störung zu führen. „Damit wird nun endlich nach langer Zeit auch transsexuellen Menschen die Anerkennung zugestanden, die die WHO homosexuellen und bisexuellen Männern und Frauen bereits 1992 mit der Entpathologisierung ihrer Sexualität gewährt hatte.“, betont Mathias Falk, Mitglied des Sprechendenrats des Netzwerks LSBTTIQ Baden-Württemberg. Im Neuentwurf zum Internationalen Krankheitskatalogs (ICD-11) wird es ein neues Kapitel zu sexueller Gesundheit geben in dem „Geschlechts-Inkongruenz“ als behandlungsbedürftiger Gesundheitszustand benannt wird. Damit liegt weiter die Grundlage vor, dass transsexuellen und transgender Menschen Zugang zu notwendiger medizinischer Unterstützung erhalten können. Der neue Krankheitskatalog soll im nächsten Jahr der UN vorgelegt werden und wird voraussichtlich am 01.01.2022 für alle UN-Mitgliedsstaaten in Kraft treten.
Dies muss nun endlich auch in Deutschland eine deutliche Verbesserung der rechtlichen und medizinischen Behandlung von transsexuellen und transgender Menschen anstoßen. Die bislang existierenden Regelungen in unserem Land sind schon seit Jahrzehnten veraltet und werden seit Jahren von verschiedensten rechtlichen und medizinischen Instanzen kritisiert. Eine Reform des Transsexuellengesetzes von 1980 ist schon seit Jahren überfällig. Weder die rechtlichen Gegebenheiten, noch die medizinische Versorgungssituation spiegeln heute die Bedürfnisse der Betroffenen wieder. „Gerade die von mir betreuten jungen Menschen finden sich in den nicht mehr zeitgemäßen Richtlinien, auf die sie stoßen, überhaupt nicht mehr wieder.“, sagt Isabelle Melcher, Mitglied des Sprechendenrats und Leiterin der Beratungsstelle TTI in Ulm.

Das Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg fordert von allen beteiligten politischen und gesellschaftlichen Akteur_innen, dass in diesem Kontext bald konkrete Taten folgen. „Wir können dieses Thema nicht als Randthema betrachten. Für die betroffenen Menschen sind mit schlechten Rahmenbedingungen sehr konkrete Sorgen und massives Leiden verbunden. Untätigkeit bis zur endgültigen Einführung des ICD-11 wäre absurd und hätte für die Betroffenen völlig unnötige und weiterhin diskriminierende Folgen.“, sagt Tamara Kailuweit, transsexuelle Aktivistin und ebenfalls Mitglied im Sprechendenrat des Netzwerks. Die im Deutschland von heute noch praktizierte verpflichtende psychologisch-therapeutische Begleitung und psychiatrische Begutachtung von transsexuellen und transgender Menschen sind beim derzeitigen Stand der Dinge nicht mehr haltbar. Die Krankenkassen müssen endlich proaktiv bessere Rahmenbedingungen schaffen, um Kostenübernahmen für gewünschte Behandlungen und Eingriffe zu ermöglichen. Zudem braucht es endlich die Reform des Personenstandsrecht, die allen Menschen eine einfache Änderung von Namen und Geschlecht nach eigener Identifikation eröffnet.

Viele Gruppen im Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg haben sich auch in diesem Jahr wieder engagiert, um mit zahlreichen Veranstaltungen diesen Gedenktag würdig zu begehen. Der Transgender Day of Remembrance ist der richtige Zeitpunkt, für diese Anliegen Bewusstsein in der Mehrheitsgesellschaft zu schaffen. Die detaillierten Beschreibungen der einzelnen Veranstaltungen finden Sie auf unserer Homepage unter www.netzwerk-lsbttiq.net/tdor. Hier ein Überblick über die Termine. Alle Menschen sind herzlich eingeladen, denn der TDoR geht alle an!

Freiburg
◦ Human Library (Dienstag 20.11., 16:30 bis 18:30 Uhr)

Heidelberg
◦ Refugee networking event – non-normative gender identitites (Freitag 9.11., 11:00 bis 17:30 Uhr)
◦ Vortrag zur „Bekanntesten Trans* Person der DDR“ (Dienstag 13.11., 19 Uhr)
◦ Regionale Spuren – Vortrag zu Liddy Bacroff (Donnerstag 15.11., 19 Uhr
◦ Trans* und nicht-binäre Kindergeschichten (Dienstag 20.11., 17:30 Uhr)

Karlsruhe
◦ Film „GENDERBENDE“ (Sonntag 21.10., 20:00 bis 22:00 Uhr)

Konstanz
◦ Vortrag zu Toleranz, Intoleranz und eigenen Erfahrungen sowie Kunstausstellung (Dienstag 20.11., 17:00 bis 18:30 Uhr)

Mannheim
◦ Erzählcafé „Trans* sein – ich werden“ (Dienstag 20.11., 19:00 Uhr)

Pforzheim
◦ Vortrag zu Heteronormativität und Identitäten (Freitag 23.11., 15:00 bis 18 Uhr)

Stuttgart
◦ Kundgebung auf dem Schlossplatz (Dienstag 20.11., 18:00 bis 20:00 Uhr)
◦ Lesung und Diskussion zum Transgender Day of Remembrance (Dienstag 20.11., 20:30 bis 22:00 Uhr)

 

Über das Netzwerk: Das Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg ist ein überparteilicher und weltanschaulich nicht gebundener Zusammenschluss von lesbisch-schwul-bisexuell-transsexuell-transgender-intersexuell und queeren (LSBTTIQ) Gruppen, Vereinen und Initiativen. Das Netzwerk zeigt damit bereits die Vielfalt und die Vielgestaltigkeit von Geschlecht und sexueller Orientierungen. Ziel des Netzwerks ist es, die Zusammenarbeit der verschiedenen LSBTTIQ-Mitgliedsgruppen auf Landesebene zu fördern und den Erfahrungsaustausch zu intensivieren, zu zentralen Themen gemeinsame Positionen zu erarbeiten und gegenüber landespolitischen Entscheidungstragenden zu vertreten. Dabei greift das Netzwerk auf die vorhandenen Kompetenzen und Expertisen der Mitglieder zurück. Die Bündelung der Aktivitäten vor Ort erbringt Synergieeffekte, die den gesellschaftlichen Beitrag der Mitgliedsgruppen wirkungsvoller gestaltet. Die Eigenständigkeit jedes Mitglieds wird respektiert und alle Mitglieder arbeiten gleichberechtigt.

Kontakt zu Geschäftsstelle: kontakt@netzwerk-lsbttiq.net
Kontakt zum Sprechendenrat: sprechendenrat@netzwerk-lsbttiq.net
Mehr Informationen zum Netzwerk: www.netzwerk-lsbttiq.net
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LSBTTIQ: Die Abkürzung steht für einzelne Richtungen in der vielfältigen Regenbogen-Gemeinschaft – lesbisch (L), schwul (S), bisexuell (B), transgender (T), transsexuell (T), intersexuell (I), queer (Q).