Freiburg, 20. Juni 2024

PRESSEMITTEILUNG

Zum Weltflüchtlingstag mahnt das Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg, die besonderen Schutzbedarfe von queeren Geflüchteten endlich konsequent zu berücksichtigen und umzusetzen. #ZusammenMenschSein

Der Weltflüchtlingstag am 20. Juni erinnert daran, dass Millionen von Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Von den aktuell etwa 120 Millionen Geflüchteten kommen nicht viele nach Europa, noch weniger nach Baden-Württemberg. Gut zwei Drittel der Menschen sind innerhalb der Grenzen des eigenen Heimatlandes auf der Flucht. Die meisten Menschen harren in Nachbarländern in der Hoffnung aus, zügig in ihre Heimat zurückkehren zu können.

Die Gründe, warum Menschen ihr Zuhause verlassen müssen, sind vielfältig. Neben Verfolgung, gewaltsamen Konflikten, Hungersnöten und klimabedingten Ursachen flüchten queere Menschen auch vor der Verfolgung durch Staat und Gesellschaft. In vielen Staaten der Welt steht Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit jeglicher Art unter Strafe: Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind verboten und werden mit Gefängnis oder sogar der Todesstrafe verurteilt. Die Kriminalisierung von trans Menschen erfolgt auch über Verbote von Crossdressing und vergleichbaren Gesetzen. Darüber hinaus werden in vielen Ländern Verbrechen gegen lsbttiq Menschen nicht sanktioniert.

Im letzten Jahr haben Verfolgung und Ausgrenzung queerer Menschen weltweit zugenommen. Wie Helga Hedi Denu, Mitglied des Sprechendenrats des Netzwerks LSBTTIQ Baden-Württemberg, ausführt: „In Russland zum Beispiel wurde die internationale LGBTQ+-Bewegung als extremistisch eingestuft. In Uganda wurde das Verbot von Homosexualität erneut verschärft. Jetzt droht Menschen, die ‚homosexuelle‘ Handlungen durchführen, im schlimmsten Fall die Todesstrafe. Seit dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan verfolgt der Staat in der Hand der Taliban das Ziel, alle lsbtiq+ Menschen im Land zu vernichten.“

Seit 2015 unterstützt die Themengruppe (TG) Refugees, ehemals Refugees helfen, als landesweite Vernetzungs- und Arbeitsgruppe schutzsuchende geflüchtete Lesben, Schwule, bisexuelle, transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und queere (lsbttiq+) Menschen in Baden-Württemberg. Mit konkreter Beratung und Unterstützung vor Ort, in der Vernetzung mit Fachkräften und anderen Unterstützungsorganisationen sowie in Gesprächen mit Politik und Verwaltung wird versucht, eine systematische Umsetzung der durch europäisches Recht verankerten Schutzgarantien zu erreichen, konkrete Hilfe zu bieten und Zugang zur Community zu ermöglichen.

Viele Punkte sind noch offen: Queere Geflüchtete können sich in Deutschland nicht sicher fühlen. In den Unterkünften sind sie Diskriminierung und Bedrohung durch Mitbewohner_innen und Personal ausgesetzt. Im öffentlichen Raum erleben sie rassistisch motivierte Ausgrenzung gepaart mit Queerfeindlichkeit. Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Geschlechts fliehen mussten, brauchen spezifischen Schutz. Diese besonderen Schutzbedarfe gilt es systematisch umzusetzen. Es ist kein Luxusbedarf, sondern lebensrettend.

Wenn queere Geflüchtete sich zu erkennen geben, braucht es Unterkünfte, die den Schutz garantieren können – in den Landeserstaufnahmestellen (LEA), in der vorläufigen und in der Anschlussunterbringung der Kommunen. „Eine ausreichende Anzahl an Schutzunterkünften mit einem erreichbaren Zugang zu spezialisierter Beratung und Begleitung und zur queeren Community sind dafür eine pragmatische Lösung“, führt Angela Jäger, Mitglied der Themengruppe Refugees, die Forderung vom Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg aus und verweist auf die klare Gesetzeslage. „Gemeinsam mit dem Flüchtlingsrat Baden-Württemberg und hunderten anderen Organisationen in Deutschland stehen wir für eine Gesellschaft, die fliehende Menschen menschenwürdig aufnimmt. Der Schutz queerer Geflüchteter gehört selbstverständlich nach Deutschland und braucht konkrete Unterstützung“, fordert Corinna Wintzer, ebenfalls Mitglied des Sprechendenrats.

Die Belange queerer Geflüchteter gilt es auch bei der Umsetzung der sogenannten Bezahlkarte für Asylsuchende zu berücksichtigen. „Fassungslos stehen wir vor der Verdrehung von Argument in der Diskussion darum. Eine digitale Zahlkarte muss selbstverständlich diskriminierungsfrei eingeführt werden, damit der Zugang zu Leistungen nicht noch weiter eingeschränkt wird, als es ohnehin schon durch das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geschieht“, so Mathias Falk, Mitglied der Themengruppe Refugees.

Eine räumliche Beschränkung der Geltung der Karten ist ebenfalls besonders belastend. Für Angebote spezialisierter Beratung, Aktivitäten in der queeren Community, Gruppenangebote und Gesundheitsfürsorge und -beratung nehmen queere Geflüchtete oft weite Wege auf sich, da diese selten vor Ort zu finden sind. Eine Bezahlkarte darf das nicht verhindern. Ebenso sind Verträge beispielsweise für ein Handy notwendig. Anwaltliche Unterstützung bedarf Zahlungsmöglichkeiten und für viele alltägliche Handlungen braucht es Bargeld. Das es möglich ist, mit einer digitalen Lösung Entlastung für die Verwaltung zu erreichen, ohne Geflüchtete noch mehr zu belasten, zeigt das Beispiel Hannover.

Das Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg erwartet von der Landesregierung, den Auftrag zum Schutz und zur Unterstützung queerer Geflüchteter systematisch umzusetzen und die Bedarfe und Rechte von lsbttiq Geflüchteten konkret zu berücksichtigen.

Der Text der Pressemitteilung als pdf-Datei findet sich hier.