Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg irritiert über Innenminister Strobls Vorstoß zum Verbot geschlechtergerechter Sprache

Freiburg, 30. Januar 2024
PRESSEMITTEILUNG

Die Verwendung geschlechtergerechter Sprache ist eine wichtige Voraussetzung für Geschlechtergerechtigkeit und sichtbare Geschlechtervielfalt. Ein Verbot wie jüngst von Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl angestrebt, ist nicht nur ein fatales Signal an Frauen, agender, nicht-binäre und intergeschlechtliche Menschen, es unterstützt den allgemeinen Rechtsruck in Deutschland.

Sprache geschlechtergerecht auszugestalten, ist eine einladende und höfliche Geste, um alle Menschen – unabhängig ihres Geschlechts – gleichermaßen anzusprechen. Sie adressiert sowohl Frauen als auch jene, die sich in der binären Welt von Mann und Frau nicht wiederfinden. Hierunter fallen Menschen, die sich als nicht-binär oder agender definieren, und ein Teil der intergeschlechtlichen Menschen. Sie haben einen festen Platz in unserer Gesellschaft, den wir ihnen auch sprachlich zugestehen, dem wir Raum geben möchten: im gesprochenen Wort durch die winzige Pause des Glottis-Schlags, im geschriebenen Wort symbolisiert durch die Lücke, die der Unterstrich aufspannt (oder andere äquivalente Sonderzeichen wie Asterisk oder Doppelpunkt).

Geschlechtergerechte Sprache ist also nicht mehr, aber auch nicht weniger, als sprachlich anzuerkennen, dass es Frauen gibt und andere Menschen, die keine Männer sind. Dass geschlechtergerechte Sprache sich in den letzten Jahren immer stärker verbreitet hat, begrüßen wir, zeigt es doch, wie sich gesellschaftlicher Wandel und Sprache gegenseitig positiv beeinflussen können. Auch die Verwendung geschlechterinklusiver Begriffe wie z. B. „Lehrkräfte“ anstelle von „Lehrerinnen und Lehrer“ verbreitet sich immer mehr.

Dass rückwärtsgewandte Parteien wie die AfD gesellschaftliche Entwicklungen wie die 2017 durch das Bundesverfassungs­gericht geforderte Einführung eines dritten positiven Geschlechtseintrags durch Sprachregelungen und Sprachverbote blockieren möchten, verwundert indes nicht. Sprache schafft Wirklichkeit. Sprachverbote zielen darauf ab, Wirklichkeit, in diesem Fall die Existenz von Frauen und geschlechtlichen Minderheiten, unsichtbar zu machen.

Wir empfinden es daher als umso irritierender, dass nun auch in Baden-Württemberg die demokratische Volkspartei CDU verstärkt auf Sprachverbote setzt. Laut verschiedenen Quellen möchte Innenminister Thomas Strobl Verwaltungen verbieten, für geschlechtergerechte Sprache Sonderzeichen oder das Binnen-I zu benutzen. Anscheinend sei ein solches Verbot nach SWR-Angaben sogar unnötig, da die Behörden untereinander ohnehin keine Sonderzeichen verwenden. „Diese Tatsache beruhigt uns jedoch keineswegs“, sagt Corinna Wintzer, Mitglied des Sprechendrats des Netzwerks LSBTTIQ Baden-Württemberg. „Inwieweit die geplante Verwaltungsvorschrift auch Schulen betreffen würde, ist noch unklar. Es gibt Grund zur Befürchtung, dass eine derartige Sprachvorschrift nur der Anfang einer Kaskade von Regelungen und Verboten sein könnte.“

Tatsächlich zeigt ein Blick nach Ungarn oder in die USA, dass Eingriffe in den Lehrplan keineswegs undenkbar sind. Mit der Begründung, Kinder schützen zu wollen, oder wegen der angeblichen Überforderung von Lernenden wurden und werden LSBTTIQ-Themen aus den Lehrplänen gestrichen, aus Buchhandlungen und Büchereien verbannt.

Debatten um geschlechtergerechte Sprache sind in Deutschland so alt wie das Binnen-I aus den 1980er-Jahren. „Am Tonfall hat sich seitdem wenig geändert“, meint Ute Reisner, Mit-Koordinierende der Netzwerk-Themengruppe Geschichte. „Es ist eine rechtspopulistische Tradition, Themen, von denen 50 Prozent der Bevölkerung real betroffen sind, als ‚Minderheitenproblem, Kulturkampf, männerfeindliches Emanzengezicke etc.‘ oder anders abzuwerten. Das funktioniert sehr gut, da diese 50 Prozent unsichtbar bleiben, eben weil sie nicht benannt werden. Neu ist, dass agender, nicht-binäre und intergeschlechtliche Menschen gegen die immer noch untergeordneten weiblich gelesenen Menschen ausgespielt werden.“

Die Reaktionen der grünen Regierungspartnerin auf Vorstöße zu Sprachverboten fallen enttäuschend aus. „Weder die Aufrufe, die Debatte endlich zu beenden, noch das Umdrehen des Spießes, indem nun denjenigen, die geschlechterinklusiver Sprache kritisch gegenüberstehen, vorgeworfen wird, hier die Sprachpolizei zu spielen, werden dem Ernst des Themas gerecht“, sagt Jj Link, Mitglied des Sprechendenrats des Netzwerks LSBTTIQ.

„Oft wird verkannt, dass es konservative bis reaktionäre Kräfte sind, die das Thema immer wieder aufs Tapet bringen. Ohne diesen Wunsch nach Verboten gäbe es überhaupt keine Debatte“, meint Corinna Wintzer. „Der aktuelle Fall scheint einer von vielen zu sein, bei denen sich demokratische Parteien einem von Rechten vorgegebenen Thema widmen. Wohl in der Hoffnung, Wählende wieder in die Mitte zurückzulocken. Dass das nicht funktioniert, sollte die jüngere politische Entwicklung in der EU demonstriert haben. Wenn die Mitte Themen aus dem rechten Dunstkreis aufgreift, verliert sie zunehmend Stimmen, weil sie die rechte Rhetorik legitimiert. Mit seinem Vorstoß verstärkt Herr Strobl den allgemeinen Rechtsruck.“

Das Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg wird sich weiterhin für geschlechtergerechte Sprache stark machen. Für uns ist sie eine wichtige Voraussetzung für Geschlechtergerechtigkeit und sichtbare Geschlechtervielfalt. Gerne bieten wir unsere Unterstützung in diesem Bereich an.

Der Text der Pressemitteilung als pdf-Datei findet sich hier.